Lucretia - zu ihr sind wir gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde: ein Anruf eines Freundes, er habe hier eine Katze, die dringend ein neues Zuhause sucht! Sie stammt aus einer Grosszuchtanlage, kennt nichts ausser Käfig und braucht liebevolle und geduldige Menschen.
Natürlich konnten wir nicht „nein“ sagen und holten Lucretia zu uns. Katzen gewohnt und ahnend, was auf uns zukommt, ließen wir sie im geschlossen Kinderzimmer aus ihrer Transportbox und husch! verschwunden war sie in einem unerreichbaren Eck…
Also, Türe bleibt zu, Futter und Wasser bereitgestellt und immer wieder „besucht“. Immer mit dem gleichen Ergebnis: zack - und weg war sie, sobald man die Türe öffnete.
Also, Strategiewechsel: sie muss sich an Menschen gewöhnen und lernen, dass hier niemand etwas von ihr will. Mein Gatte zieht ins Kinderzimmer um und schläft nachts bei ihr.
Ein guter Plan, denn nach ca. einem halben Jahr hat sie ihre Scheu gegenüber Menschen soweit abgelegt, daß sie nicht mehr flüchtet, wenn man das Zimmer betritt. Und mein Mann kann wieder aus dem Kinderzimmer ins Elternschlafzimmer umziehen;-)
Nun bleibt die Türe vom Kinderzimmer offen und Lucretia kann selbst entscheiden, ob sie dieses verlassen möchte. Das tut sie genau dann, wenn sich kein Mensch und kein Hund im oberen Stockwerk befindet: sie wagt sich einige Schritte auf den Flur, sobald sie jemanden sieht, huscht sie wieder rein ins sichere Kinderzimmer. Aber sie gewöhnt sich an vorbeilaufende Kinder, Hunde und uns immer mehr - und fühlt sich nach weiteren Dutzenden Wochen so sicher, dass sie das obere Stockwerk als sicheren Hafen anerkennt.
Da unsere Hunde Katzen gewöhnt sind und sie nicht weiter beachten, legt sie mit der Zeit auch ihre Furcht vor den bellenden Vierbeinern ab und fühlt sich nun sicher und zufrieden in ihrem neuen Reich.
Schaut man mittlerweile zur Treppe, dann sieht man Lucretia inzwischen, wie sie vorsichtig nach unten schaut und man spürt - sie würde nun gerne auch die unteren Gefilden kennenlernen.
Wir lassen ihr alle Zeit der Welt und nachdem wir sie ein Jahr bei uns haben, schafft sie es und überwindet alle Furcht und kommt in unseren Wohnbereich, wo das alltägliche Leben stattfindet.
Erschreckt sie etwas, ist sie schnell wieder im oberen Stockwerk, aber nachdem sie merkt, dass ihr immer noch niemand etwas Böses will, ist das Vertrauen endlich so stark, dass sie sich frei im Haus bewegt. Aus der scheuen British Kurzhaar-Katze ist eine schmusige und anhängliche Persönlichkeit geworden, die es liebt, gestreichelt zu werden.
Nach anderthalb Jahren ist es dann soweit: Lucretia nutzt ihre Sicherheit und Vertrauen und erkundet unseren Aussenbereich - hier fühlt sie sich ganz offensichtlich wohl und da unsere Katzen einen sicheren Aussenliegeplatz haben, verbringt sie ihre Freiheit im Frühling, Sommer und Herbst draussen. Zwölf Jahre bleibt sie stets in Sicht- und Streichelnähe und genießt ihr Leben. Mit vierzehn Jahren möchte sie dann nur noch sporadisch hinaus und ihr fünfzehntes Lebensjahr verbringt sie friedlich ausschließlich im Haus.
Im Frühjahr haben wir gespürt, dass sie sich verändert - der Tierarzt konnte jedoch nichts Organisches oder Behandelbares feststellen. Sie wurde einfach „weniger“.
Vor einer Woche haben wir sie erlöst, nachdem sie das Fressen eingestellt hatte und uns ihr Ausdruck ihr Ende signalisiert hat.
Sie durfte friedlich einschlafen und liegt neben unseren anderen Vierbeinern, welche über die Regenbrücke gegangen sind.
Wir werden sie nie vergessen…..